„Ich spreche nicht nur deutsch und werde Logopädin (Esra, 20 J.)“
Am Diakonie-Kolleg Hildesheim wird das aktuelle Thema der Mehrsprachigkeit im Unterricht mit einer ebenso mehrsprachigen Lehrlogopädin, Frau Can, thematisiert. Sie selbst ist türkischer Abstammung und wollte wissen, wie die mehrsprachigen Auszubildenden sich mit dem Thema bisher auseinandergesetzt und welche Erfahrungen sie damit gesammelt haben.
Daher führte Frau Can ein Interview zu dem Thema mit folgenden Auszubildenden:
- Esra, 20 J. und Aylin, 20 J., beide türkischer Herkunft und im 1. Ausbildungsjahr
- Irina, 28 J., russischer Herkunft und Melissa, 25 J., türkischer Abstammung und beide im 3. Ausbildungsjahr
- Maryam, 45 J., Iranerin und vom Abschluss her Diplom-Logopädin, welcher in Deutschland nach ihrer Herkunft nicht anerkannt wurde, weshalb sie derzeit am Diakonie-Kolleg Hildesheim einen Anpassungslehrgang macht, um die deutsche Berufserlaubnis als Logopädin zu erhalten.
Frau Can: Schön, dass wir uns nun austauschen zum Thema Mehrsprachigkeit und Logopädie. Welche Sprachen sprechen Sie denn fließend? Können Sie eine oder beide Sprachen auch schriftlich fließend, wenn ja welche?
Esra: Ich spreche Deutsch und Türkisch fließend und kann beide Sprachen ebenso fließend schriftlich.
Aylin: [nickt] Ich spreche auch Deutsch und Türkisch fließend und kann auch beide Sprachen fließend schreiben, wobei ich mir im Türkischen manchmal etwas unsicher bin.
Melissa: Ja, genauso geht es mir auch.
Irina: Da meine Muttersprache Russisch ist, spreche ich diese fließend. Schriftlich kann ich sie ebenfalls, ich würde aber sagen, dass diese wie bei euch nicht so fließend ist.
Maryam: Meine Muttersprache ist Farsi, also Iranisch, außerdem spreche ich noch Deutsch und Afghanisch und kann die Sprachen auch lesen und schreiben sowie Arabisch lesen und verstehen.
Frau Can: Das ist interessant, auch ich spreche Deutsch und Türkisch fließend und kann beides schreiben. Jedoch bin ich in der türkischen Schriftsprache nicht so sicher, wie in der Deutschen. Wie haben Sie denn das Thema Mehrsprachigkeit wahrgenommen, als Sie sich für eine Ausbildung im Bereich Logopädie entschieden haben?
Melissa: Mir war zu Beginn der Ausbildung ehrlich gesagt nicht bewusst, wie vorteilhaft die Mehrsprachigkeit eigentlich sein kann. Ich habe es nicht als negativen Aspekt betrachtet, hätte aber auch einfach nicht gedacht, dass dies Vorteile mit sich bringen kann.
Esra: Ich habe wahrgenommen, dass meine Muttersprache mir in diesem Beruf Vorteile bringen kann, sodass ich durch meine Mehrsprachigkeit auch Patienten die ebenso meine Sprache beherrschen, behandeln kann.
Aylin: Zu Beginn der Ausbildung, habe ich mich gar nicht so intensiv mit diesem Thema befasst. Mir war nur bewusst, dass es, genauso wie ich, viele andere Menschen gibt, die mehrsprachig aufgewachsen sind.
Irina: Ich habe schon früh gemerkt, dass das Thema Mehrsprachigkeit einen hohen Stellenwert für mich und auch in der Gesellschaft einnimmt. Da ich durch meine frühere Tätigkeit als Flugbegleiterin ständig damit konfrontiert wurde, aber auch im Alltagsleben hat es mich immer sehr weit gebracht. Ich konnte anderen Menschen durch das Übersetzen helfen. Deswegen war mir damals zu Beginn der Ausbildung bewusst, dass ich meine Muttersprache ebenso gut im neuen Beruf einsetzen kann.
Maryam: Ich wollte unbedingt diesen Beruf hier in Deutschland weiter ausüben, weil ich den Bedarf gesehen habe, als mehrsprachige Logopädin zu arbeiten.
Frau Can: Also mir waren die Vorteile überhaupt nicht bewusst. Ich weiß noch, wie meine damalige Dozentin meine Mehrsprachigkeit ansprach und mir sagte, dass ich keine Schwierigkeiten haben werde, eine Stelle zu bekommen und dass mehrsprachige LogopädInnen heißbegehrt seien. Nach meiner Bewerbungsphase kann ich Ihre Aussage nur bestätigen. Was denken Sie, welche Chancen oder Vorteile könnte eine mehrsprachige Logopädin im Beruf haben?
Aylin:Ich denke, eine mehrsprachige Logopädin hat ein größeres Arbeitsspektrum, im Sinne der Spezialisierung auf mehrsprachige Patienten. Auch vermute ich, dass man sich besser mit den Eltern verständigen kann, die die deutsche Sprache noch nicht vollkommen beherrschen und verstehen können. Zum Beispiel bei Terminabsprachen, logopädischer Beratung, Telefongesprächen oder der Abstimmung mit weiteren Angehörigen. Als mehrsprachige Logopädin hat man vielleicht auch bessere Arbeitsvoraussetzungen in Bezug auf Bewerbungen.
Melissa: [lächelt] Ja das stimmt, durch die vielen Praktika in der Ausbildung ist mir bewusst geworden, wie wichtig es sein kann, mehrere Sprachen sprechen zu können. Es gibt viele mehrsprachige Familien, unter anderem auch viele türkischsprachige Familien in Deutschland, welche wenig deutsch sprechen können. Es ist eine enorme Hilfe für die Menschen mit Migrationshintergrund, als auch für Kollegen, eine mehrsprachige LogopädIn im Team zu haben, die im Gespräch mit Patienten und Angehörigen übersetzen kann.
Irina: Ich denke auch, dass zum einen der Bedarf an mehrsprachigen LogopädInnen enorm gestiegen ist, daher sehe ich hier einen Vorteil in Bewerbungsgesprächen als positives Kriterium für eine Einstellung. Zum anderen kann man versuchen, eine logopädische Befundung in der anderen Sprache ergänzend durchzuführen, um sich selber einen Eindruck machen zu können, inwieweit die sprachlichen Probleme in der anderen Sprache bestehen.
Maryam: Genau, man kann von Beginn an der Behandlung mit den unterschiedlichen Sprachen arbeiten.
Esra: Ich hätte nicht gedacht, dass das Sprechen von mehreren Sprachen so bedeutsam in diesem Beruf wäre und mir mehr Chancen bringen kann. Derzeit gibt es wohl leider nur sehr wenige Logopädinnen, die mehrsprachig sind. Ich bin ziemlich froh, dass mir vermittelt wurde, dass Mehrsprachigkeit etwas Besonderes in diesem Beruf ist. Ich sehe die öglichkeit, dass man dadurch zusätzlich eine andere Gruppe von Patienten behandeln kann. Außerdem denke ich, dass man in der Ausbildung oder dem Studium gut Auslandsaufenthalte als Praktika oder als Auslandssemester im Heimatland machen kann. Später könnte man auch in dem Land arbeiten, wessen Sprache man fließend sprechen kann, falls die Berufschancen in diesem Land besser aussehen. Ich merke ganz oft, dass es eine ziemlich schöne Sache ist, mehrere Sprachen zu verstehen als auch sprechen zu können, um so auch mit viel mehr Menschen zu kommunizieren.
Frau Can: Das sind wirklich viele schöne Vorteile, die Sie genannt haben. Vor allem ist es schön zu hören, dass Ihnen diese Vorteile bewusst sind. Diese sollten auch genutzt werden und zum Einsatz kommen können. Welche Erfahrungen mit dem Thema Mehrsprachigkeit haben Sie bereits im Praktikum, Alltag oder Arbeitsleben sammeln können, negative und positive?
Melissa: Negative Erfahrungen habe ich bisher keine gesammelt. Es waren überwiegend positive Erfahrungen. Die Logopädinnen oder auch Erzieherinnen haben großes Interesse gezeigt und auch mal nach Hilfe gefragt, wenn es Verständnisschwierigkeiten gab. Auch wurde ich von vielen mehrsprachigen Familien angesprochen und konnte mich gut mit ihnen unterhalten. Es war ein schönes Gefühl, Patienten aus unsicheren Situationen rausholen zu können.
Irina: Das war bei mir ähnlich. Ich habe durchaus positive Erfahrungen im Praktikum sammeln können, da ich mich öfter mit den Eltern unterhalten und sie zu manchen Sachen sogar noch befragen konnte, die vorab nicht geklärt werden konnten. Ich habe auch einige Testverfahren mit den Patienten durchgeführt, was ich sehr spannend fand.
Maryam: Ich wurde in Deutschland vom Iranischen logopädischen Verband angeschrieben mit der Bitte, Patienten aus dem Iran hier zu therapieren, was mir bisher noch nicht erlaubt war. Das gezeigte Interesse hat mich wirklich gefreut.
Aylin: Ich habe im Laufe meines Praktikums gemerkt, dass die deutsche Sprache für mehrsprachige Kinder eine Herausforderung darstellen kann. Im häuslichen Umfeld steht die deutsche Sprache dann auch eher im Hintergrund und im Kindergarten wird ein Kind mit unterdurchschnittlichen Leistungen in der deutschen Sprache oft erst spät bemerkt und gefördert.
Frau Can: Da haben sie Recht, das ist leider ein Problem. Viele Förderprogramme erreichen leider nicht die gesetzten Ziele und Untersuchungen haben ergeben, dass SchülerInnen mit einem Migrationshintergrund im Vergleich weniger und schlechter Bildungsabschlüsse erreichen, als Einsprachige. Welche Zukunftsperspektive der Mehrsprachigkeit sehen Sie daher für den Beruf als LogopädIn?
Maryam: Mit Blick auf die Flüchtlingssituation oder Gastarbeitersituation in Deutschland wird es einen steigenden Bedarf geben.
Melissa: [schaut nachdenklich]Hm ja, aufgrund der derzeitigen Zuwanderung der Flüchtlinge in Deutschland wird es immer mehr von Vorteil sein, mehrsprachige Logopädinnen in Praxen einzustellen. Selbst wenn eine arabische Logopädin kein afghanisch sprechen kann, ist es dennoch die gleiche Mentalität, welche die mehrsprachigen Patienten sich eventuell wohlfühlen lässt.
Ich kann mir gut vorstellen, dass in naher Zukunft noch viel mehr mehrsprachige Logopädinnen gesucht und ausgebildet werden.
Irina: Ich denke nach wie vor, dass der Bedarf an mehrsprachigen LogopädInnen in Zukunft durch die Zuwanderung weiter steigt und von Vorteil ist, sodass auch bestimmt explizit für einige Praxen mehrsprachige LogopädInnen gesucht werden. Eventuell könnte sich dann auch das Einstiegsgehalt erhöhen.
Esra: Mich interessiert das Arbeiten im Ausland sehr.
Aylin: Ich denke, dass die Mehrsprachigkeit, sowohl für den Therapeuten, als auch für den Patienten, in Zukunft immer Vorteile und Leichtigkeit mit sich bringen wird. Auch finde ich, dass sie einen großen Nutzen für die Logopädie hat, da es auch Patienten gibt, die in der jeweiligen Sprache Probleme aufzeigen und somit unterstützt werden können. Dies ist dann natürlich am einfachsten, wenn die Therapeutin zwei oder mehrere Sprachen spricht.
Frau Can:Interessant, das war ja schon mal ziemlich aufschlussreich! Wie Sie schon gesagt haben, gibt es viele mehrsprachige Menschen und allein in Deutschland konnten über 90 verschiedene Sprachen verzeichnet werden. Auch, wenn die Forschung noch in den Kinderschuhen steckt und das Thema nicht einfach zu untersuchen ist, kommt der Mehrsprachigkeit eine immer größer werdende Bedeutung zu. Haben Sie sonst noch Gedanken oder Wünsche zum Thema Mehrsprachigkeit, die Sie gern mitteilen möchten?
Melissa: Ich würde mir für die Zukunft wünschen, an mehrsprachigen Projekten teilzunehmen, um noch mehr Menschen in diesem Bereich zu unterstützen.
Aylin: Ich würde mir gerne wünschen, dass Kinder aus mehrsprachigen Familien im Deutschen besser gefördert werden, da manchmal der Alltag im Kindergarten nicht ausreicht, um die sprachlichen Defizite zu beheben.
Melissa: Ich würde mir außerdem wünschen, dass Logopädinnen häufiger an Schulen eingesetzt werden würden, einfach um auch hier mehrsprachige Kinder und deren Familien aufzuklären und zu unterstützen.
Maryam: In der logopädischen Diagnostik fällt mir immer wieder auf, dass es zur Zeit immer wieder verwendete Standardtests gibt, die man aber nicht für ausländische Patienten nutzen kann, weil die Wörter und Sätze für sie in weiten Teilen unbekannt sind. Da würde ich mir eine Anpassung des Materials wünschen.
Frau Can: Das haben Sie gut beobachtet. Momentan ist es so, dass wir wenige diagnostische Möglichkeiten haben. Wir haben beispielsweise die Möglichkeit, russisch-deutsche und türkisch-deutsche Kinder mit der Diagnostik „SCREEMIK2“ von Wagner zu untersuchen. Des Weiteren sind auch zahlreiche Broschüren und Faltblätter vorhanden, die zum Beispiel über die Berufsverbände dbl (Deutscher Bundesverband für Logopädie e. V.), dgs (Deutsche Gesellschaft für Sprachheilpädagogik e. V.) und dbs (Deutscher Bundesverband der akademischen Sprachtherapeuten) zugänglich sind. Diese eignen sich hervorragend für Beratungsgespräche mit den Eltern.
Wie sieht denn ihre berufliche Zukunft nach der Ausbildung aus?
Aylin: Nach der Ausbildung möchte ich erst einmal mein Bachelor-Studium der Logopädie an der HAWK (Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim) abschließen und nebenbei in einer logopädischen Praxis arbeiten. Nach dem Studium kann ich mir vorstellen noch weitere Jahre in der Praxis tätig zu werden, dabei Berufserfahrung zu sammeln und mich fortzubilden, um dann später vielleicht in die Selbstständigkeit überzugehen.
Esra: Da wir noch relativ am Anfang unserer Ausbildung und des parallel beginnenden ersten Studienabschnittes an der HAWK sind, weiß ich noch nicht so wirklich was mich noch alles erwartet und wo mein Weg schließlich endet. Deshalb möchte ich erst einmal in den ganzen tollen Praktika Erfahrungen sammeln und in verschiedene Bereiche Einblicken, um zu schauen was wirklich zu mir passt und mir auch tatsächlich gefällt. Jedoch habe ich im Hinterkopf die Gedanken, gerne mal in einer Logopädiepraxis zu arbeiten oder in einem Klinikum als Logopädin tätig zu sein.
Maryam: Genau das möchte ich auch machen [nickt zustimmend], als Logopädin in einer neurologischen Klinik arbeiten.